REthinking: Law (bis Ausgabe 4/2023)
Trends bei der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts

Trends bei der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts

A. Recht und Datenbanken

Wenn etwas „nur auf dem Papier“ existiert, dann ist es normalerweise keine Realität und derjenige, der die Redewendung nutzt, hat in der Regel auch keinen Optimismus, dass sich daran etwas ändern würde. Juristen bleiben demgegenüber eher gelassen, wohlwissend, dass die Reglungen eines Papiers sehr wohl Realität werden können, sofern sie gesetzlich anerkannt und damit gegebenenfalls gerichtlich und letzten Endes mit hoheitlicher Gewalt durchgesetzt werden können. So hätte niemand einen Zweifel daran, dass ordnungsgemäß begründete Gesellschaften (wie unter anderem auch Forderungen und Rechte) rechtlich existieren; und das, obwohl viele – insbesondere Kapitalgesellschaften – bloß auf dem Papier des Handelsregisters, andere wiederum z. B. nur durch die Flüchtigkeit des Wortes in die Welt gebracht werden.

Streng genommen existieren Kapitalgesellschaften eigentlich aber nicht einmal mehr auf dem Papier. Sie werden seit Einführung des EHUG 1 im Jahr 2007 auf Druck der EU 2 vielmehr in einer elektronischen Datenbank verwaltet. Der Anfang der Digitalisierung des Gesellschaftsrechts war damit gemacht.

Vor kurzem hat sich die Europäische Kommission des Themas erneut angenommen und einen neuen Richtlinienvorschlag veröffentlicht, um diesen Pfad weiter zu beschreiten (B.I.). Sie möchte einen höheren, europaweit einheitlichen Mindestdigitalisierungsstandard für das gesellschaftsrechtliche Verfahren schaffen, wobei das deutsche Recht dem weitgehend bereits heute entspricht. Wie eine noch intensivere Digitalisierung während des Lebenszyklus einer Gesellschaft erreicht werden kann, macht währenddessen Estland vor (B.II.).

Daneben scheinen jüngere Entwicklungen des materiellen Gesellschaftsrechts eine ähnliche Richtung einzuschlagen: auch hier ist ein Trend weg vom Papier und hin zu einer Datenbankverwaltung zu beobachten, der exemplarisch am Beispiel von Aktien beleuchtet wird (C.I.). Nachdem diese für die Digitalisierung notwendige Entwicklung zu einer Immaterialisierung nachgezeichnet wurde, schließt sich die Frage an, wie Gesellschaftsanteile bereits heute digitalisiert werden können (C.II.).

REL 00/2018 S. 45>>

B. Digitalisierung des Verfahrens

Wollte man einen Bereich auswählen, in dem der elektronische Rechtsverkehr reibungslos funktioniert, dann wird dies am ehesten der des Handelsregisters sein. 1 Seit mehr als zehn Jahren läuft die Kommunikation digital ab, wenngleich die offizielle Website (www.handelsregister.de) noch immer wie ein schrulliges Relikt aus den Anfängen des Internets erscheint. Die Europäische Kommission hat in den vergangenen Jahren nicht nur diese, sondern auch die verschiedenen Digitalisierungsbemühungen einzelner Mitgliedsstaaten genau beobachtet und für hinreichend erfolgreich befunden, sodass ein Mindeststandard nun auch flächendeckend auf europäischer Ebene eingeführt werden soll.

I. Aktuelle europäische Entwicklungen

Am 25.04.2018 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag einer Richtlinie für den „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“ veröffentlicht. 2 Mithilfe dieser Richtlinie sollen die bereits vorhandenen Digitalisierungselemente des Gesellschaftsrechts (z. B. die elektronische Führung und die Bereitstellung von Registerinformationen über das Internet) ergänzt werden. Die Kommission hat erkannt, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des (digitalen) Binnenmarktes ist. 3

In ihrem Vorschlag hat sie sich zunächst auf die digitale Eintragung und die Einreichung von Dokumenten konzentriert. Denn solche Online-Verfahren seien für gewöhnlich kostengünstiger und schneller als solche, die eine persönliche oder schriftliche Antragsstellung erfordern. 4 Zwar bringt der Richtlinienentwurf (im Folgenden: „RL-Entwurf“) aus deutscher Perspektive nicht viel Neues. Trotz alledem lohnt sich ein genauerer Blick.

Nach der Vorstellung der Kommission soll es künftig möglich sein, eine Gesellschaft vollständig online zu gründen. Die Mitgliedsstaaten müssten dabei sicherstellen, dass die physische Präsenz bei einer Behörde oder einer anderen Stelle nicht mehr nötig ist (Art. 13f RL-Entwurf). 5

Insbesondere für Start-ups sollen Satzungsmuster mit vorab festgelegten Optionen bereitgestellt werden (Art. 13g RL-Entwurf). Es ist davon auszugehen, dass die Optionen der bisherigen gesetzlichen Muster 6 (nämlich die Wahl zwischen einer Einpersonen- und einer Mehrpersonengesellschaft mit bis zu drei Gesellschaftern) diesen Anforderungen nicht genügen, sondern verschiedene Optionen bezüglich einzelner Klausel-inhalte angeboten werden müssen. Software, die zur Erstellung einer Mustersatzung auf Basis verschiedener Entscheidungen genutzt werden kann, ist bereits mannigfaltig vorhanden und es wäre daher wünschenswert, wenn es einen offiziellen „Satzungsgenerator“ oder ähnliches gäbe. Dieser Satzungsgenerator könnte etwa auf dem gemeinsamen Registerportal der Länder 7 eingebunden werden. Eine Satzung, die mithilfe dieses Tools erstellt würde, könnte danach im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a GmbHG auch kostenmäßig privilegiert werden.

Zudem soll die Online-Einreichung von Dokumenten durch die Gesellschaften sichergestellt werden (Art. 13i RL-Entwurf). Diese Bestrebungen werden durch einen weiteren Richtlinienvorschlag flankiert, wonach auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen grundsätzlich keine physische Präsenz bei zuständigen Behörden mehr notwendig sein soll. 8 Der Vorschlag der Kommission steht dabei im Einklang mit anderen Digitalisierungsbestrebungen. 9 Wenig verwunderlich dürfte aber sein, dass er in Kreisen der Notare auf nahezu einstimmige Ablehnung stieß. 10 In der Tat könnte durch die Digitalisierung ein Teil ihres Geschäfts wegfallen. Dennoch stellt der Richtlinienentwurf klar, dass er insbesondere nicht die materiellen Voraussetzungen einer Gesellschaftsgründung betrifft und die Beteiligung von Notaren nicht ausschließen möchte; es gehe lediglich um das Verfahren der Eintragung gesellschaftsrechtlicher Angelegenheiten während des Lebenszyklus einer Gesellschaft. 11 Der Kommissionsvorschlag zielt also nicht darauf ab, die z. B. nach § 2 GmbHG oder § 23 Abs. 1 AktG erforderliche notarielle Form der Satzung zu beseitigen.

<<REL 00/2018 S. 46>>

In zeitlicher Hinsicht sorgt die Kommission für Obergrenzen. So muss eine Online-Eintragung grundsätzlich binnen fünf Arbeitstagen, nachdem sämtliche Voraussetzungen vorgelegt wurden, vollzogen worden sein (Art. 13f Abs. 7 RL-Entwurf). Erfahrungsgemäß kann heute bereits eine Eintragung in diesem Zeitrahmen erfolgen. Allerdings variiert die Dauer von Register zu Register. Die zeitliche Obergrenze des Richtlinienentwurfs sorgt also immerhin für Klarheit und Vorratsgesellschaften werden für eilige Gründer an Attraktivität verlieren.

Auch wenn der Richtlinienentwurf wie ein eher zaghafter Schritt anmutet, so stimmt dessen Richtung. Der Einfluss auf die deutsche Handelsregisterpraxis dürfte jedoch gering sein, da die wesentlichen Aspekte hierzulande bereits Realität sind.

II. Vorbild Estland?

Wie eine Gesellschaft noch digitaler gegründet und gemanagt werden kann, macht Estland bereits heute vor. Das dort umgesetzte Konzept der sogenannte „e-Residency“ richtet sich vor allem an Freelancer, digitale Nomaden und KMUs.

Der Erwerb der e-Residency steht grundsätzlich jedem Menschen unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit offen. Nachdem man das Online-Formular ausgefüllt hat und eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 100€ gezahlt hat, wird über den Antrag entschieden. Wird die e-Residency gewährt, kann man seine digitale ID in einer estnischen Botschaft abholen. Mit dieser ID kann man nun gegen eine Gebühr in Höhe von 190€ eine Gesellschaft in Estland gründen, Bankkonten eröffnen, Steuern zahlen usw. Gerade ausländische Gründer werden dabei aber jedenfalls zu Beginn kaum um einen Business Service Provider herumkommen, deren Preise je nach Tätigkeitsumfang variieren und pro Monat im mittleren bis höheren zweistelligen Bereich liegen.

Ist die Gesellschaft gegründet, lässt sie sich – und das ist ein nicht unwesentlicher Vorteil – papierlos managen. Beschlüsse der Gesellschafter können etwa nach der Telefonkonferenz festgehalten, mit der digitalen ID signiert und unmittelbar der zuständigen Behörde kommuniziert werden. Diese Möglichkeit dürfte vor allem international verstreute Teams oder digitale Nomaden ansprechen.

Nach eigener Angabe der estnischen Behörde haben bislang 33438 Personen aus 154 Ländern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und 5033 Gesellschaften gegründet. 1 Diese Zahlen rechtfertigen es möglicherweise noch nicht, von einer weit verbreiteten Akzeptanz zu sprechen. Dennoch zeigt das Beispiel Estland, wo die Reise hingehen wird: Der Wettbewerb der Gesellschaftsformen, der vor allem durch das Urteil des EuGH in der Sache „Inspire Art Ltd.“. 2 befeuert wurde, dürfte sich intensivieren. Neben materiell-rechtlichen und steuerlichen Vorteilen 3 scheint aber ein weiterer Aspekt hinzuzutreten: die Einfachheit und Kosteneffizienz der Gesellschaftsverwaltung, insbesondere die digitale Kommunikationsmöglichkeit mit den Behörden. Gerade jüngere Gründer empfinden Papierdokumente und so manche Formvorschrift nämlich eher als lästiges Übel. Je kostengünstiger und einfacher ihre Gesellschaft zu managen ist, desto attraktiver wird sie sein. Es ist anzunehmen, dass das deutsche Gesellschaftsrecht – ähnlich wie seinerzeit auf den Boom der Ltd. mit der Einführung der UG (haftungsbeschränkt) – auf diese Entwicklungen reagieren wird. Sofern die Europäische Kommission ihre Digitalisierungsbemühungen weiterverfolgt, könnte eine Gesellschaftsverwaltung à la Estland auch bereits in naher Zukunft hierzulande Wirklichkeit werden.

<<REL 00/2018 S. 47>>

C. Digitalisierung der Gesellschaftsanteile

Neben der Digitalisierung der Verfahrensabläufe zeichnet sich auch ein Trend hin zu einer Digitalisierung der Gesellschaftsanteile ab. Der dafür notwendige Schritt der Loslösung von einer sachlichen Verkörperung der Anteile ist im Aktienrecht teilweise bereits vorgenommen worden (I. und II.). Bis digitale Verkörperungen aber gesetzlich anerkannt werden, dürften als Übergangsinstrumente vor allem schuldrechtliche Nachbildungen echter Gesellschaftsanteile (sogenannte Virtuelle Anteile oder Phantom Stocks) Verbreitung finden (III.).

I. Abkehr von der sachlichen Verkörperung von Wertpapieren durch Immaterialisierung

Die Verkörperung von Aktien in Wertpapieren 1 bildet grundsätzlich die Brücke zur Anwendbarkeit des Sachenrechts. Durch die Versachlichung eines eigentlich immateriellen Rechts wurde eine Übereignung nach den §§ 929 ff. BGB möglich. Wichtigste Konsequenz dessen ist die Anwendbarkeit der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nach den §§ 932 ff. BGB. Ein gutgläubiger Erwerber kann also auch von einem Nichtberechtigten die Aktie und die damit verbundenen Rechte erwerben. Ein gutgläubiger Erwerb im Wege der Abtretung sonstiger Rechte beziehungsweise Forderungen ist dem BGB hingegen grundsätzlich fremd. Der Verkehrsschutz von Wertpapieren war gegenüber nicht verkörperten Rechten also höher.

Die massenhafte Emission von Aktien führte aber schnell zu Komplikationen bei deren Verwaltung und Verwahrung. Die damit verbundenen Probleme wurden in der Folge durch die sogenannte (Giro-)Sammel- oder Globalverwahrung gelöst. 2 Aktien wurden nicht mehr einzeln verbrieft und ausgegeben, sondern bei sogenannte Zentralverwahrern wie der Clearstream International S. A. verwahrt. Dadurch wurde der Handel in einer Art und Weise möglich, dass zum Eigentumserwerb sammelverwahrter Aktien die „Übergabe“ im Sinne des § 929 S. 1 BGB durch die Umbuchung im Verwahrungsbuch (vgl. § 14 DepotG) ersetzt werden konnte 3 . Obwohl so die Bedeutung des Papiers zunehmend verlor, handelt es sich dennoch um echte Wertpapiere und nicht bloße Wertrecht. 4 Denn gänzlich losgelöst von einer sachlichen Verkörperung sind auch sammelverwahrte Aktien noch nicht. Sie erfordern schließlich die Verbriefung in einer Sammelurkunde nach §§ 5 ff. DepotG. Dass sich – nüchtern betrachtet – die Übertragung des (Mit-)Eigentums an den Aktien aber durch die bloße Umbuchung von Positionen einer Datenbank vollzieht, ändert daran nichts.

Im Jahr 2006 hat der Gesetzgeber dann einen weiteren Schritt in Richtung der Immaterialisierung unternommen. Mit dem Bundesschuldwesengesetz ist es dem Bund möglich, seine Schuldforderungen in einem (digitalen) Bundesschuldbuch zu führen. Eine Verbriefung, wie sie für sammelverwahrte Aktien noch erforderlich ist, ist dabei nicht mehr vorgesehen. Daher musste der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 S. 2 BSchuWG eine gesetzliche Fiktion aufnehmen, die Bundesschuldforderungen ungeachtet ihrer fehlenden Verbriefung mit Wertpapieren gleichstellt. Mit Blick auf die Digitalisierung der Gesellschaftsanteile ist es aber vielleicht noch wichtiger, dass der Präzedenzfall eines immateriellen Wertpapiers geschaffen wurde.

Die hier nur oberflächlich skizzierten Entwicklungen verdeutlichen den Trend weg von einer Versachlichung und hin zu einer datenbankbasierten Wertpapierverwaltung. Für Depotinhaber entspricht dies der seit vielen Jahren geübten Praxis der Online-Depots, und es ist nicht ersichtlich, dass sich dieser Trend umkehren wird. Im Gegenteil, es ist eher anzunehmen, dass eine echte Verkörperung von Wertpapieren früher oder später obsolet sein wird. Entsprechendes wird aus Bankenkreisen bald vorgeschlagen werden. Dadurch wird aber der Weg frei, Wertpapiere und damit insbesondere Gesellschaftsanteile wie Aktien vollständig zu digitalisieren.

II. Tokenisierung von Gesellschaftsanteilen

Das wohl wichtigste Instrument auf dem Weg zur Digitalisierung von Gesellschaftsanteilen wird dabei eine wie auch immer ausgestaltete elektronische Datenbank sein. Da eine Blockchain letztlich nichts anderes als eine besondere Art von Datenbank ist, drängt sich die Frage auf, ob diese Technik nicht für die Zwecke der Digitalisierung von Gesellschaftsanteilen fruchtbar gemacht werden kann.

<<REL 00/2018 S. 48>>
1. Ein Szenario blockchain-basierter Tokenisierung im Gesellschaftsrecht

Tatsächlich ist ein sogenannter Token ein bloßer Eintrag in einer (blockchain-basierten) Datenbank und somit – qualitativ betrachtet – nichts anderes als ein Eintrag in einer gewöhnlichen Datenbank wie etwa dem Bundesschuldbuch (das freilich ohne viel Phantasie auch mithilfe einer gegebenenfalls privaten 1 Blockchain betrieben werden könnte). Der Token beziehungsweise der Eintrag in der Datenbank dokumentiert einen Wert bzw. ein Recht, indem ein bestimmter Saldo einem bestimmten Konto zugeschrieben wird.

Dennoch hat eine Bundesschuldforderung einen entscheidenden Vorteil: Sie ist gesetzlich anerkannt und zu einem Wertpapier erhoben. 2 Das bedeutet aber auch, dass dieser Weg Token oder auch sonstigen Datenbankeinträgen grundsätzlich offensteht. Es müsste eben nur der Gesetzgeber tätig werden, wobei als Blaupause das BSchuWG dienen kann. Ein damit verbundener möglicher Vorteil wäre, dass eine (gegebenenfalls staatlich betriebene) Blockchain-Datenbank durchaus auch mit dem öffentlichen Glauben des Bundesschuldbuchs (s. § 8 BSchuWG) aufgeladen werden könnte. Der Rechtsverkehr würde so besser geschützt als über die §§ 932 ff. BGB und erst recht noch besser als im Rahmen einer Abtretung.

Dass diese Form der Digitalisierung beziehungsweise der Tokenisierung nicht von heute auf morgen vom Gesetzgeber umgesetzt wird, dürfte recht klar sein. Bis es so weit ist, wird man also zum Zwecke der Digitalisierung von Gesellschaftsanteilen nicht umhinkommen, alternative, möglicherweise aber qualitativ nicht gleichwertige Wege zu beschreiten.

Hinweis Auf Fragen der konkreten Ausgestaltung und der Governance einer solchen Blockchain kann im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen werden. Klar dürfte aber z. B. sein, dass es nicht hinnehmbar wäre, wenn Aktien deswegen für immer verloren wären, weil der Inhaber seinen private Key verloren hat. Dieses Problem wäre wie viele andere aber technisch lösbar.

2. Tokenisierung virtueller Anteile als Übergangswerkzeug?

Wie ein solcher Weg aussehen könnte, zeigt die Plattform „Neufund“. Dabei werden echte Gesellschaftsanteile durch Token nach- und abgebildet. Einem solchen virtuellen Gesellschaftsanteil muss dabei eingedenk der eingangs geschilderten fehlenden Gleichwertigkeit ein Makel in der Qualität der Rechtsposition gegenüber echten Gesellschaftsanteilen anhaften. Sie haben nämlich keine dinglichen, sondern lediglich schuldrechtliche Wirkungen. Gleichzeitig bieten virtuelle Anteile aber ein erhöhtes Maß an Flexibilität, was die inhaltliche Ausgestaltung angeht. Denn sie haben ihr Fundament in der privatautonomen Vertragsfreiheit, sodass die Regelungen des AktG oder des GmbHG nicht unmittelbar gelten. Damit sind virtuelle Anteile vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen nach §§ 398, 413 BGB frei übertragbar.

Werden derartige virtuelle Anteile tokenisiert (d. h. durch einen blockchain-basierten Datenbankeintrag abgebildet), spricht man auch von Equity Token oder – synonym dazu – von Wertpapier- bzw. Security-Token. Die Begrifflichkeit spielt letztlich keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr der Inhalt des Token (man spricht dann auch vom Token-Design). 3

Virtuelle Geschäftsanteile „Virtuell“ ist in diesem Kontext also im Sinne von „nicht echt“ zu verstehen.

3. Eine kurze Historie virtueller Anteile

Virtuelle Anteile lassen sich in den USA bis ins Jahr 1947 zurückverfolgen und dienten zunächst der Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmenserfolg. 4 In Deutschland wurden sie spätestens seit den 1980er Jahren zunächst zaghaft verwendet. 5 Aktiengesellschaften nutzten sie, um beispielsweise die Vergütung des Vorstandes an der Aktienkursentwicklung (dem Shareholder-Value) auszurichten. In jüngerer Zeit erfreuen sich virtuelle Anteile vor allem im Start-up-Sektor großer Beliebtheit. Denn oftmals genügt die finanzielle Ausstattung nicht, um angemessene Fixgehälter zu zahlen. Daher erhalten Kernmitarbeiter nicht selten virtuelle Anteile, die sie zwar nicht zu Gesellschaftern machen, sie aber dennoch wirtschaftlich so stellen, als seien sie z. B. im Rahmen eines Exits (mitveräußernder) Gesellschafter gewesen. Eine so ausgestaltete virtuelle Mitarbeiterbeteiligung im Start-up-Sektor ist – vereinfacht – nichts anderes als ein auf den Exit bedingter Zahlungsanspruch, dessen Höhe sich nach einem zuvor festgelegten Bruchteil des Veräußerungserlöses richtet. Dieser Zahlungsanspruch wird üblicherweise noch von Vesting-/Verfalls- und Bindungsklauseln sowie weiteren Abreden flankiert. 6 Die Höhe des Zahlungsanspruchs kann sich freilich auch aus anderen Inhalten ergeben; hier zeigt sich wieder die Vertragsfreiheit. So ist es ebenso denkbar, eine

<<REL 00/2018 S. 49

Gewinn- bzw. Umsatzbeteiligung, eine Kombination von alldem oder Ähnliches zu vereinbaren.

Der nächste Schritt in der Entwicklung virtueller Anteile dürfte in der Nachbildung echter Gesellschaftsanteile zu Investmentzwecken liegen. Denn sie sind von Natur aus immaterielle schuldrechtliche Forderungen beziehungsweise Rechte und damit einer Digitalisierung leicht zugänglich.

4. Rechtliche Konstruktion tokenisierter virtueller Anteile

Den Ausgangspunkt der rechtlichen Konstruktion tokenisierter virtueller Anteile bilden drei Grundüberlegungen: Erstens können virtuelle Anteile nicht dieselbe unmittelbare Verbindung zwischen Anteilsinhabern und Gesellschaft herstellen, da es sich lediglich um schuldrechtliche Forderungen handelt. Zweitens ist ein Token – dies sei nochmals hervorgehoben – keine rechtlich anerkannte Verkörperung echter oder virtueller Anteile, sodass zwischen den Anteilen und den Token strikt zu trennen ist. Drittens erlangt der Anteil seinen Wert durch den Wert der Gesellschaft und die gesetzlich garantierten Mindestrechte. Ein virtueller Anteil erlangt seinen Wert lediglich durch die vertragliche Abrede. 1 Der Wert des Token bemisst sich ebenfalls danach, wie er vertraglich zwischen Tokenemittent und Tokeninhaber eingebunden ist. 2

Damit nun Token, Anteil und virtueller Anteil weitgehend parallel laufen, ist es notwendig, dass der Tokenemittent mindestens genauso viele echte Anteile hält, wie er Token emittiert. Hierfür wird es sich regelmäßig anbieten, eine eigene Zweckgesellschaft zu gründen. Sie hält einerseits die richtigen Anteile, emittiert andererseits aber auch die Token und ist Schuldnerin der Rechte und Forderungen, die sich aus dem Token-Design (also der vertraglichen Abrede zwischen Emittenten und Tokeninhaber) ergeben. In einem solchen Drei-Personen-Verhältnis kann man kon-struktiv auch von einer virtuellen Unterbeteiligung sprechen, da die Tokeninhaber ähnlich wie Unterbeteiligte gestellt werden.

Die Bündelung der echten Anteile kann einen weiteren Vorteil der Stimmrechtsausübung durch den Vertreter der Zweckgesellschaft mit sich bringen. Es ist nämlich denkbar, dass Tokeninhabern ein anteilsmäßiges Stimmrecht eingeräumt wird. Dabei repräsentiert ein Token ein Stimmrecht, sodass ein höheres Gewicht hat, wer mehr Token sein Eigen nennt. Dass dies technisch ohne Weiteres möglich ist, hat bereits die DAO 3 bewiesen, die wohl die erste tokenisierte Gesellschaft gewesen sein dürfte. Der Tokenemittent beziehungsweise ihr Vertreter kann dann (wiederum nur vertraglich) verpflichtet sein, entsprechend diesem Abstimmungsergebnis bei der eigentlichen Gesellschafterversammlung abzustimmen.

Eine weitere wichtige Konsequenz der Tokenisierung ist die Handelbarkeit der virtuellen Anteile. 4 Während etwa Geschäftsanteile an einer GmbH wegen des notariellen Formerfordernisses gem. § 15 Abs. 3 GmbHG nur wenig fungibel sind, gilt dies nicht für ihre virtuellen Pendants. Sie lassen sich vielmehr nach §§ 398, 413 BGB grundsätzlich (form-)frei abtreten. Ebenso problemlos lässt sich ein Token übertragen. 5 Wenn aber der Token die Rechteinhaberschaft bezüglich des virtuellen Anteils abbilden soll, wird in der Tokentransaktion auf Basis des nach §§ 133, 157 BGB maßgeblichen verobjektivierten Empfängerhorizonts normalerweise der rechtsgeschäftliche Wille erklärt, die von dem Token abgebildeten Rechte und Forderungen nach §§ 398, 413 BGB zu übertragen. 6 Der Abtretungsvertrag dürfte dabei jedenfalls konkludent (durch Autorisierung der Transaktion) oder auf sonstige Weise (z. B. durch eine mündliche oder schriftliche Abrede) zustande kommen. Auch hier zeigt sich wieder, dass das Gesetz zwar nicht der Tokentransaktion als solcher, wohl aber dem so zum Ausdruck gebrachten menschlichen (rechtsgeschäftlichen) Willen rechtliche Wirkungen zuspricht.

Die Emission virtueller Anteile kann also für eine nicht börsennotierte Gesellschaft ein probates Mittel werden, um breit gestreutes Kapital aufzunehmen. Tatsächlich könnte ein florierender Zweitmarkt für Geschäftsanteile.

IV. Ausblick

Der Abschied von versachlichten Wertpapieren dürfte unaufhaltsam sein. Es wird zudem interessant sein, wie virtuelle Gesellschaftsanteile (z.B. an GmbHs) auf einem Zweitmarkt angenommen werden. Ob ein digitaler Gesellschaftsanteil aber die Datenbank wert ist, auf der er existiert, hängt insb. von ihrer rechtlichen Anerkennung ab. 

Fußnoten

Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG).

Das EHUG wurde zur Umsetzung der Richtlinien 2003/58/EG und 2004/109/EG erlassen.

S. etwa Bernhardt NJW 2015, 2775.

COM(2018) 239 final.

COM(2017) 256 final, S. 3.

COM(2018) 239 final, S. 4.

Kritisch hierzu etwa Kirchner DNotZ-Sonderheft 2016, 115 (117).

S. Anlage zu § 2 Abs. 1a GmbHG.

www.handelsregister.de (zuletzt abgerufen am 16.05.2018).

S. Art. 123 Abs. 4 COM(2018) 241 final, S. 63.

Z. B. mit der des digitalen Zugangstores, vgl. COM(2017) 256.

COM(2018) 239, S. 10.

COM(2018) 239, Erwägungsgrund (12), (13), S. 21 f

https://e-resident.gov.ee (zuletzt abgerufen am 16.05.2018).

EuGH NJW 2003, 1461.

Exemplarisch für den Boom ausländischer Briefkastenfirmen in Form der Ltd. konnte bis zur Einführung der UG (haftungsbeschränkt) etwa das dort sehr niedrige notwendige Stammkapital angeführt werden. S. statt vieler Römermann NJW 2006, 2065

Gemeint ist hier ausschließlich der zivilrechtliche Wertpapierbegriff. Auf den weiten aufsichtlichen Wertpapierbegriff, der auch Token umfassen kann, kann hier nicht eingegangen werden. S. dazu v. a. auch BaFin Hinweisschreiben v. 20.02.2018, GZ: WA 11-QB 4100-2017/0010.

S. hierzu ausführlich MünchKommBGB/Habersack Vor § 793 Rn. 30 f.

S. auch BGH NJW 2004, 3340 (3341).

BGH NJW 3340 (3341) m. w. N.

Zu der Unterscheidung zwischen den Arten der Public, Private und Federated Blockchains s. Voshmgir, Shermin/Kalinov, Valentin Blockchain Handbook (2017), abrufbar unter: https://blockchainhub.net/blockchain-technology/ (zuletzt abgerufen am 16.05.2018).

Zur fehlenden Wertpapierqualität im Sinne des DepotG s. das Paper zur Regulierung von Token des Bundesblocks, abrufbar unter: https://www.bundesblock.de/2018/04/06/token-regulation-paper/ (zuletzt abgerufen am 16.05.2018).

So auch das Paper zur Regulierung von Token des Bundesblocks auf S. 11, abrufbar unter: https://www.bundesblock.de/2018/04/06/token-regulation-paper/ (zuletzt abgerufen am 16.05.2018).

S. Berkwitz v. Humphrey et al., 163 F.Supp. 78, 89 (1958).

Es soll in Deutschland eine Präferenz für fixe Einkommen gegeben haben, s. Bühner DB 1989, 2181.

Für Beispiele, s. Hahn, Christopher Virtuelle Mitarbeiterbeteiligung (2016).

Diese Abrede wird in der Regel zwischen Gesellschaft und Begünstigtem geschlossen. Auf die sich daraus ergebenden Komplikationen kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.

Das heißt, dass ein Token selbstverständlich auch völlig wertlos sein kann. Dies dürfte etwa auf nicht wenige der derzeit per ICO ausgegebenen Utility Token zutreffen.

The DAO steht für Decentralized Autonomous Organization.

Auf die damit ggf. verbundenen Fragen des Aufsichtsrechts kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden.

Streng genommen wird der Token aber nicht „übertragen“. Sein Wert wir einem Konto vielmehr gutgeschrieben und einem anderen Konto abgezogen.

Alternativ hierzu ist es jedenfalls denkbar, bei einer Tokentransaktion im Wege der Rechtsfortbildung eine Analogie zu § 793 BGB oder § 952 BGB zu ziehen. Dies soll an dieser Stelle aber nicht vertieft werden.